Medikamentengabe bei Hochbetagten: Streeck fordert Umdenken

Der Virologe Hendrik Streeck hat eine gesellschaftliche Debatte über die Medikamentengabe bei Hochbetagten angestoßen. Er hinterfragt, ob es immer sinnvoll ist, sehr alte Menschen mit zahlreichen Medikamenten zu versorgen, insbesondere wenn deren Lebensqualität dadurch nicht zwingend verbessert wird.

Die zentrale Frage nach dem Nutzen

Streeck argumentiert, dass der Fokus oft auf der reinen Lebensverlängerung liegt, während das Wohlbefinden der Betroffenen in den Hintergrund tritt. Ein Beispiel dafür ist die Gabe von Cholesterinsenkern bei über 90-Jährigen. Solche Medikamente sollen langfristig Herzinfarkten oder Schlaganfällen vorbeugen, allerdings ist ihr unmittelbarer Nutzen für die Lebensqualität in diesem hohen Alter fraglich.

Viele ältere Menschen leiden unter der sogenannten Polypharmazie, also der gleichzeitigen Einnahme von fünf oder mehr verschiedenen Medikamenten. Dies erhöht nicht nur das Risiko für unerwünschte Neben- und Wechselwirkungen, sondern kann den Alltag der Senioren auch erheblich belasten. Streeck regt daher an, bei jeder Behandlung kritisch zu prüfen, ob sie dem Patienten tatsächlich noch dient.

Lebensqualität versus Lebensverlängerung

Im Kern der Diskussion steht die ethische Abwägung zwischen einer maximalen Lebensdauer und einem würdevollen, möglichst beschwerdefreien Lebensabend. Oftmals werden Therapien fortgesetzt, obwohl sich der Zustand des Patienten bereits verschlechtert hat. Laut Streeck sollte stattdessen häufiger die Frage gestellt werden, welche Behandlung die verbleibende Lebenszeit am angenehmsten gestaltet.

Er fordert einen offeneren Dialog zwischen Ärzten, Patienten und deren Angehörigen über die Ziele einer Therapie. Es gehe nicht darum, notwendige Behandlungen zu verweigern, sondern eine Übertherapie zu vermeiden. Dadurch könnten unnötiges Leid und belastende Nebenwirkungen reduziert werden.

Praktische Umsetzung und gesellschaftlicher Diskurs

Ein wichtiger Schritt wäre es, Behandlungsleitlinien speziell für hochbetagte Menschen zu entwickeln, denn viele Studien zu Medikamenten werden hauptsächlich mit jüngeren Teilnehmern durchgeführt. Die Ergebnisse sind daher nicht immer auf die Bedürfnisse und die körperliche Verfassung von Senioren übertragbar.

Außerdem betont Streeck die Bedeutung von Patientenverfügungen, in denen Wünsche für die letzte Lebensphase klar festgehalten werden. Die Debatte über die Medikamentengabe bei Hochbetagten ist somit Teil einer größeren gesellschaftlichen Auseinandersetzung über einen würdevollen Umgang mit dem Alter und dem Sterben.